Kunst-Anleitung. Vorschläge, um wirklich zum Connaisseur zu werden.
(oder: Wie man vor einem Bild steht, ohne zu tun, als wüsste man, was man da tut)
Dieser Text ist für alle, die vor einem Bild schon mal gestanden sind und dachten: „Ok… und jetzt?“ – und für alle, die heimlich hoffen, dass niemand merkt, dass sie gerade nur auf die Farbe starren, weil sie nicht wissen, wohin sonst.
Es ist erstaunlich: Kaum betritt man eine Ausstellung, verhalten sich erwachsene Menschen wie bei einem Eignungstest. Rücken steif, Kopf schief, Stirn gefaltet. Als würde gleich jemand mit Klemmbrett prüfen, ob man beim Betrachten ausreichend „innerlich reift“. Die gute Nachricht: Niemand kontrolliert das. Kunst ist wie Wetter: sie passiert einfach. Und manchmal regnet es eben.
Vorschlag 1) Nicht-Wissen ist kein Notfall
Der größte Irrtum bei Kunst: Man müsse irgendwas erkennen. Einen Delfin. Ein politisches Statement. Den Schmerz einer Kindheit. Muss man nicht. Der Moment, in dem man vor einem Bild steht und nichts fühlt, ist nicht das Ende von Kunst – es ist der Start.
Es ist wie am Kühlschrank: Erst mal Tür auf und schauen, ohne Plan. Manchmal ist was Spannendes drin, manchmal steht da nur Senf.
Vorschlag 2) Kurz hingucken ist völlig legal
Es gibt diese unausgesprochene Höflichkeitsregel: Mindestens 30 Sekunden pro Bild, sonst gilt es nicht. Ich persönlich finde das herrlich skurril. Wenn einen ein Bild null interessiert, warum 30 Sekunden theatralisch so tun? Gucken, weiterschlendern, fertig. Kunst ist nicht Kirche. Niemand wird verstoßen.
Vorschlag 3) Der Bauch hat immer Recht
Als Maler vertraue ich meinem Körper mehr als meinem Kopf. Wenn beim Malen ein Bild „zieht“ oder „drückt“, weiß ich, ob ich weiterarbeite oder übermale. Beim Anschauen ist es dasselbe: zieht es dich ran oder weg? Das reicht als Analyse. Niemand muss einen Aufsatz schreiben.
Vorschlag 4) Tönende Fachwörter sind Deko
Wenn Menschen nervös werden, beginnen sie plötzlich Vokabeln auszukippen: „Das hat etwas performativ Diffundierendes im postmateriellen Diskursraum.“ — Ich empfehle als Künstler einen anderen Satz, viel ehrlicher und 100-mal schöner: „Ich weiß nicht, was das Bild macht — aber irgendwas macht es.“ Das ist pure Wahrheit, mehr braucht‘s nicht.
Vorschlag 5) Lachen ist ausdrücklich erlaubt
Ich liebe es, wenn Leute vor Bildern lachen. Ernsthaft. Kunst ist Leben, nicht Beerdigung. Wenn jemand sagt „Das sieht aus wie ein schlecht gelaunter Tintenfisch auf LSD“, bin ich nicht beleidigt — ich freu mich, weil da etwas passiert. Gefühle sind wertvoller als Ehrfurcht.
Vorschlag 6) Man darf daneben liegen.
Menschen fürchten peinliche Interpretationen. Szenario: Du sagst, das Bild erinnere dich an einen Strandurlaub – und der Künstler erklärt: „Das Werk handelt vom Zusammenbruch der westlichen Ordnungssysteme.“
Na und?
Dann erinnert es dich trotzdem an Strand. Kunst ist nicht Tinder, wo nur „richtige Matches“ zählen. Ein Bild hat so viele Treffer wie Menschen davor stehen.
Vorschlag 7) Fragen sind besser als Nicken
Der sympathischste Satz in Ausstellungen lautet: „Ich verstehe das nicht – erzähl mal.“
Künstler reden erstaunlich gerne, wenn man sie lässt. (Noch lieber, wenn man nicht gleich wegläuft.) Fragen öffnen Räume.
Der beste Satz am Ende
Wenn du rausgehst, reicht ein Satz:
„War was dabei, das bleibt?“
Nicht: „War es bedeutend genug?“,
nicht: „War es intellektuell korrekt?“,
sondern nur: bleibt etwas hängen? Eine Farbe, eine Fläche, ein Gefühl, ein Gedanke, ein Satz im Hinterkopf.
Wenn ja: Glückwunsch, du kannst jetzt offiziell Kunst schauen.
Wenn nein: Glückwunsch, du kannst trotzdem offiziell Kunst schauen.
Denn – und das ist das ganze Geheimnis – Kunst ist kein Examen, sondern ein Angebot.
Ende.
Weiteratmen.
Weitergucken.